hr-iNFO-Büchercheck: Kommt ein Pferd in die Bar von David Grossman

hr-iNFO-Büchercheck: Kommt ein Pferd in die Bar von David Grossman

28.04.2016

David Grossman, Jahrgang 54, gehört zu den wichtigsten zeitgenössischen israelischen Schriftstellern. Jetzt hat er einen neuen Roman veröffentlicht. Er trägt den merkwürdigen Titel „Kommt ein Pferd in die Bar.“ hr-iNFO Bücherchecker Alf Mentzer hat den Roman gelesen.

Worum geht es?
Der Roman handelt von einem Auftritt des Stand-Up-Comedian Dovele Grindstein in der israelischen Küstenstadt Natanja. Er ist in die Jahre gekommen und wahrscheinlich todkrank. Der Abend, den wir hier erleben, könnte seine Abschiedsvorstellung sein. Sein Programm wird immer mehr zu einer Reise in die eigene Geschichte, seine persönliche Tragödie, zu der ein Verrat durch einen Jugendfreund genauso gehört wie das Trauma der Shoa, das seine Eltern auf ihn vererbt haben. Was mit einigen Slapstickeinlagen beginnt, wird zu einer Art Tribunal, in dem der Komiker Grinstein Kläger und Angeklagter in einer Person ist.

Wie ist es geschrieben?
Erzählt wird das Ganze aus der Sicht eines pensionierten Richters, der im Publikum sitzt. Er ist jener Freund aus Kindertagen. Grinstein hat ihn extra zu dieser Vorstellung eingeladen. Es bleibt lange Zeit in der Schwebe, ob dieser Abend Anklage oder Versöhnungsangebot sein soll. Ein ums andere Mal geht er bis an die Grenze des Erträglichen, etwa, wenn er seine Witze über den Auschwitz-Arzt Josef Mengele macht:

“Also, ich möchte mal sagen, auf gewisse Weise war der für uns, was man einen family doctor nennt. Kann man doch so sehen, oder? Er klimpert treuherzig mit den Lidern in Richtung Publikum, das sich immer mehr verkrampft. Schon mal überlegt, wie viel der zu tun hatte, dieser Doktor? Sie sind ja aus ganz Europa zum ihm gereist, die sind in den Zügen übereinander geklettert, um zu ihm zu kommen, und trotzdem hat er sich Zeit genommen, sich jeden Einzelnen von uns genau anzusehen. Bloß eine zweite Meinung einholen, durften wir nicht, unter keinen Umständen. Allein sein Wort galt! Und das Gespräch war kurz: Rechts, links, links, links, links.“

Wie gefällt es?
Gerade weil dieser Roman sich ganz konsequent auf diesen einen Abend an diesem einen Ort konzentriert, entwickelt er eine ungeheure Sogwirkung. Es ist kein einfach zu lesender Roman, weil er uns immer wieder zur Entscheidung zwingt, ob wir noch mit der Hauptfigur lachen dürfen oder uns schon über sie empören müssen. Genau solche Fragen stellt große, riskante Literatur, und dieser Roman ist für mich ein ganz großer.

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gebundenes Buch, 256 S.
Sprache: Deutsch
Carl Hanser Verlag
ISBN: 9783446250505